Ralph Fleck

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Lothar Romain
Die Struktur der Farbe
 
Wenn man in Kunstkreisen jemanden ein „Malschwein” nennt, dann ist das eher liebevoll und bewundernd gemeint und meint einen Künstler, der sich mit Energie und Besessenheit immer wieder neu in den Kampf mit dem Material Farbe und ihrer Qualität begibt. Es scheint so, als könne er nicht genug von ihr auf die Leinwand schaufeln, wieder abkratzen, neu aufschichten, nur ja keine Glätte an der Oberfläche duldend. Pastose Malerei heißt der Fachbegriff dafür, der nur wenig sagt über die geradezu existenziellen und unter großem körperlichen Einsatz geführten Auseinandersetzungen mit dem Ziel, die Tragfähigkeit der Leinwand ebenso bis an ihre Grenzen zu erproben wie die Schichtfähigkeit der Farbe bis zu dem Punkt, wo ihre evozierenden wie strukturierenden Kräfte ins bloß Materiale umzuschlagen drohen.
 
Ralph Fleck ist so ein „Malschwein”, aber alles andere als ein Fetischist, der sich im Farbbrei gleichsam einbuddelt, sondern einer, der mit beherztem Einsatz und kühlem Verstand die Nahtstelle zwischen Form und Farbe immer neu erprobt und nach dem Moment sucht, wo Form in Farbstruktur und Farbstruktur in Bildform umschlägt. Seine Bilder - und das gilt ebenso für die Fernsichten der Stadt und Naturlandschaften wie für die Nahsichten auf Pflanzen - leben von zwei Möglichkeiten des Hinsehens. Nähe und Distanz sind beim Malen wie beim späteren Betrachten von entscheidender Bedeutung; denn der jeweilige Abstand zur Leinwand bewirkt eine unterschiedliche Erscheinungsweise des Bildes und bestimmt auch den Grad der Abstraktion in diesen grundsätzlich dem Gegenständlichen verpflichteten Bildszenarien.
 
Es geht zunächst um eine wichtige, immer wieder für die Malerei fruchtbar gemachte Seherfahrung, dass die Dinge aus weiter Entfernung deutlich hervortreten und mit zunehmender Nähe zum strukturellen Detail sich wandeln. Radikal artikuliert sich das in Flecks Pflanzenbildern und Feldstücken. Hier überläßt der Maler sich ganz der optischen Nahsicht und ist unbedingt dem Farberlebnis zugewandt, das immer mehr von der einengenden, umreißenden, skizzierenden Form absieht und sich auf die selbst Form werdende Farbe konzentriert. Und hier erkennt der Betrachter im Gegenzug erst aus größerer Distanz das bildauslösende Motiv, in das er beim Näherkommen buchstäblich eintaucht bis zur Auflösung jeglicher Formvorgabe. Aber die Erfahrungen gelten prinzipiell auch für die Distanzansichten der Stadt- und Naturlandschaften, die eine ähnliche Erkenntnis ermöglichen. Was aus dem Abstand als scheinbar realistisches Portrait eines Stadtteils oder einer Landschaft erscheint, erweist sich bei näherer Sicht zugleich als dessen farbstrukturelle Analyse der formalen Erscheinung und ihrer darin eingebundenen emotionalen Qualitäten.
 
Ralph Fleck geht immer vom Gegenständlichen aus, wobei er - die Distanzen als Möglichkeiten nicht nur der Annäherung an ein Sujet, sondern auch als unterschiedliche Graduierung des emotionalen Binnenverhältnisses wechselnd - nur scheinbar zu völlig unterschiedlichen Bildergebnissen gelangt. In der Halbdistanz, auch wenn er, wie bei den Feld- und Blumenstücken, mit dem Auge bzw. mit der Kamera, die häufig sein Notizbuch ist, schon sehr nahe an die Dinge herangeht, formulieren sich die pastosen, fleckig aufgetragenen Bildpassagen doch noch als eine Formenvielfalt, die als Stängel, als Blütenblätter usw. vom gegenständlichen Motiv her bestimmt ist. Je näher er allerdings malend auf sein Motiv zuarbeitet, umso mehr verschwinden die bildauslösenden gegenständlichen Konturen zugunsten einer All-Over-Grammatik, durch die organische Einzelformen in eine Struktur des Bildganzen transformiert werden. Diese ist schließlich bestimmt vom Rhythmus des Farbauftrages, vom Wechsel zwischen den verschiedenen Farbflecken, die übereinander geschichtet, ja manchmal beinahe gestapelt sind und eine zusätzliche reliefartige Oberflächenbewegung erzeugen, und ebenso von den Kontrasten und bzw. Komplementären der Farben zueinander.
 
Für den Betrachter verläuft der Rezeptionsprozess allerdings umgekehrt. Was auf den ersten Blick wie starkfarbige, abstrakte Kompositionen erscheint, erweist sich bei einiger Distanz als malerische Transformationen von Blumen- oder Gemüsefeldern, bewegte Szenarien von meist warmen Tönen in Rot oder Gold, die durch Einsprengsel ihrer jeweiligen Komplementärfarben noch mehr zum Leuchten gebracht sind oder sich im Dialog zwischen Rot und Gelborange Gelb und Grün gegenseitig anregen. Der Maler hat um der Farbereignisse willen die Distanz zu seinem Motiv weitgehend aufgehoben; d.h. er steht nicht mehr vor einer Landschaft, die durch Felder unterschiedlicher Bepflanzung gegliedert ist, sondern hat einen Ausschnitt so nahe gezoomt, dass alle äußeren Begrenzungen und Orientierungslinien fortfallen und nur noch die innere Bewegung der Farben eine Rolle spielt.
 
Der Hinweis auf Monet drängt sich auf, steht Fleck doch hier in einer der großen Maltraditionen des 20. Jahrhunderts, die sich vom Meister der „Seerosen”-Bilder herleitet und nicht nur die europäische Malerei, sondern auch die New York-School beeinflusst hat. Dabei geht es nicht um die Malweise, die bei Monet im Laufe der Jahre eher zum Flächigen hin tendiert, sondern um das Prinzip des späten Monets, das ehemals räumlich-perspektivische Bild in eine gleichsam ortlose Farbstruktur zu verwandeln, wo oben und unten, vorne und hinten aufgehoben sind und eine imaginäre, ständig wechselnde Räumlichkeit sich allein aus dem Miteinander von kalten und warmen Farben ergibt. Fleck hat dieses in seine eigene Sprache verwandelt, die den Pinselschlägen und Farbflecken zusätzlich eine plastische Qualität verleihen und der Farbe qua Materialität eine nur ihr eigene Form zukommen lassen. Der satte, pastose Auftrag wird zur Bildinnenform, ohne dass der gegenständliche Ursprung völlig aus dem Blick gerät.
 
Das Informel, genauer das action painting, hat zum ersten Mal in dieser Konsequenz die Farbe zur Eigenform befreit, indem es sie ganz in die spontane Geste aufgehen lassen wollte. Diese Geste, damit sie nicht ins Ungefähre sich verliere, wurde häufig - siehe Emil Schumacher - willentlich gebremst von der Schwerfälligkeit des dicken Farbbreis. Bei Fleck erscheint dieses Prozedere als Zitat wieder, sprich nicht als spontaner, sondern als gestisch betonter, aber kontrollierter Malauftrag, der seine Intensität, Dichte, Plastizität und Begrenzung am vorgegebenen Motiv orientiert und nicht aus der Substanz des Unterbewussten heraus gebiert.
 
„Ralph Fleck”, so hat Wolfgang Längsfeld ihn charakterisiert, „ist und dies vor allem, ein Maler der Analyse und Synthese. Er ist ein Maler der sinnlich erfahrbaren Realität, deren Erfahrbarkeiten er als Erkenntnisquelle vorführt, indem er sie auf ihre dem Maler vermittelbaren Strukturen hin leidenschaftlich untersucht.
” Diese Leidenschaft drückt sich in allen Bildern aus - mal dramatisch dem Ganzen verschrieben, mal eher brüchig schon im Ansatz; aber sie ist eine kontrollierte, nicht sich bloßer Befindlichkeit oder optischen Reizen ausliefernd. Sie kämpft mit Gewalt darum, trotz allem Maß zu halten. „Kunst zu machen”, so hat Frank Auerbach, ebenfalls ein Meister dick pastoser Malerei, einmal gesagt, „bedeutet Ordnung aus dem Chaos zu schaffen.” Diese Ordnung allerdings, das gilt auch für die Bilder von Ralph Fleck, zielt nicht auf einen endgültigen Zustand, auf einen Abschluss, sondern ist von den Sujets wie von der Malweise her eine des Werdens, des Zupackens und (Ver-)Formens, damit sich Ruhe und Selbstzufriedenheit erst gar nicht etablieren und festnisten können. Das verschafft diesen Bildern ihre verhaltene Wildheit, Schönheit und gibt zugleich eine Distanz vor, damit sie nicht zum bloßen Schwelgen verführen.
 
Die Landschaftsbilder und Stadtansichten stehen dem, wie schon angedeutet, nur scheinbar fremd gegenüber. Tatsächlich bedeuten sie lediglich die Umkehrung des Verfahrens. Es geht um die Farbstruktur der Distanz, wie aus dem die gegenständliche Vorgabe konkretisierenden Abstand dennoch die malerische Einheit eines Bildes sich entwickelt. Wie kaum ein anderer hat sich Ralph Fleck in vielen Jahren mit einer beträchtlichen Anzahl von Bildern - allein von Paris gibt es fast 500 - dem Thema Stadt gewidmet: ein schwieriges Unterfangen, wie der Blick auf die zweite Hälfte der Moderne im vorigen Jahrhundert beweist. Für die Mehrzahl der Maler schien dieses Bemühen zum Scheitern verurteilt. Mit Ausnahme der Pop Art, und auch diese vorwiegend mit dem Image des städtischen Konsumkreislaufes beschäftigt, hat die Malerei nur selten Interesse an den Metropolen gezeigt, deren Straßen und Innenansichten doch seit Beginn der Moderne bis zum Expressionismus eine dominante Rolle gespielt haben. Erst mit dem Aufkommen der Neuen Wilden und ihrer neoexpressiven Malerei finden sich solche Themen wieder - das Stadtambiente als Ort und Ausdruck eines neuen Lebensgefühls, als Metapher der Unruhe und der Gier nach Leben, als Moloch des Zeitgeistes. Die Neuen Wilden fanden in den Architekturen die statische Kulisse für die Rastlosigkeit des Verkehrs und des eigenen Treibens, und in den Kneipen den geeigneten Ort für die Darstellung nächtlicher Saufkumpanei bei gleichzeitiger Furcht vor jeder Form von Intimität. Das unterschied ihre Bilder zwar von ihren expressionistischen Vorfahren mit ihrem Großstadtrausch und gleichzeitigem Betroffenheitspathos, aber fand seine Grenzen doch an der objektiven Maßlosigkeit des Molochs Megapolis, dem man letztlich nur Lebensgefühl entgegenzusetzen hatte.
 
Ralph Fleck gehört nicht zum Kreis der Neo-Expressiven, auch wenn seine Malerei durch ihre Farbgebung deren expressive Qualitäten nicht unterdrückt. Sie sind für den Künstler unabdingbarer Bestandteil, nicht aber Thema seines Malens. Entsprechend sein Umgang mit der Stadtarchitektur. Aus der Distanz gesehen, vermeidet er jeden Einblick in ihr Innenleben. Ihn interessiert nicht die Momentaufnahme, auch wenn auf den breiten Avenuen und Straßen einige Fahrzeuge zu sehen und sogar Passanten zu erahnen sind. Aber selbst diese sind, gemessen an dem alltäglichen Verkehrschaos der Metropolen, nur spärlich notiert. Seine Stadtansichten sind solche der Aufsichten, die sich dem Lärm entziehen, aber dafür der Stadtanlage und ihren unterschiedlichen architektonischen Gegebenheiten widmen. Die Metropolen von Paris über New York bis hin zu Lissabon oder Madrid stellen sich als ein mal strenges, mal lockeres Gefüge von Gebäuden mit den Straßen als Adern dar. Die Vertikale dominiert, diagonal oder kreuzweise geschnitten von Straßen, die den Architekturfronten und Dächern die Richtungen vorgeben. Während die Nahsichten der Blumen- und Feldstücke einen dynamischen, formüberschreitenden Bildrhythmus aufweisen, überwiegt in diesen Stadtbildern das statische Gefüge, die Strenge der Gebäudelinien, die Formalität der Architektur. Sie wird nicht impressionistisch überspielt, sondern eher kühl und genau beobachtend dargestellt. Die künstliche Welt hat wie die organische ihre eigenen Baugesetze, doch sie ist anders als die letztere nicht einem schnellen Wechsel unterworfen, sondern vertraut trotz aller Veränderungen über die Jahrhunderte immer wieder auf eine jeweils neu gedachte Dauer.
 
Die Malerei würde nicht über eine illustrative Momentaufnahme hinauskommen, wenn Ralph Fleck nicht bei aller Beachtung der Vorgaben auch hier eine all-over-Struktur des Farbauftrages geschaffen hatte. Je näher man sich auf die Bilder zubewegt, desto dominanter wird die Flecksche Pastosität, die markante Durchdringung der szenischen Vorgabe mit Hilfe des mehrschichtigen Farbaufbaus. Zwar hält er sich an die durch die gewählten Ausschnitte bestimmenden Linien von Vertikalen und Diagonalen, aber der Farbauftrag überspielt die bloße Addition von Gebäuden und ihre Schachtelungen zugunsten einer bildschaffenden Malkultur. Sie erst verwandelt den Ausschnitt zu einem pars pro toto, zieht malerisch zusammen, was trotz aller Stadtplanung sonst eine bloße Ansammlung bliebe. Auf dem fotografischen Abbild, auch wenn es noch so sorgfältig ausgewählt wäre, bleibt stets ein Schein des Momenthaften, Episodischen, das von einer bestimmten Situation zu einer bestimmten Zeit erzählt. Die Malerei von Ralph Fleck streift diese Momente des Zufälligen ab, schafft eine eigene malerische Verbindlichkeit, die aus der übergreifenden Malstruktur sich herleitet. Sie vermittelt den Eindruck von Dauer, allerdings einer bewegten, wie der Farbauftrag und die Bildoberfläche bezeugen. Gerade so reicht sie an die Vorgaben der Stadtlandschaften heran, dass sie sich mit den eigenen Mitteln der Farbgebung eine eigene Form von Dauer gibt, die sich mit dem ähnlichen Anspruch von Dauerhaftigkeit der architektonischen Vorgaben auseinandersetzt und ihn gleichzeitig relativiert, indem sie ihm ein strukturbildendes Medium und Instrumentarium, nämlich Farbe und Farbgebung, als eine Wirklichkeit des Bildes entgegensetzt, die es in der Realität nicht gibt.
 
In ähnlicher Weise sind auch die Landschaftsbilder zu begreifen: auch hier die von einem erhöhten Standpunkt aus geschaffene Distanz im Gegensatz zur Nähe jener Ausschnitte der Feldstücke und Blumenbilder. Landschaft wie Stadtlandschaft als pars pro toto auf das Ganze zielend, auf die primären Gegebenheiten der Teilung von Land und Himmel, hier meist große Weiten darstellend mit einem durch die Aufsichten nicht betretbaren Bild-Vordergrund: keine idyllischen, sondern eher karge Landschaften, Wüste, Vulkankrater, Gebirgszüge am Horizont: Der Betrachter wird nicht zum Besiedeln oder auch nur Verweilen eingeladen. Bei Versuchen von Annäherung bleibt er durch die pastose Farbstruktur ähnlich wie bei den Stadtbildern auf Distanz gehalten. Die Illusion des Vertrauten wird von der malerischen Eigenwelt zerstört. Diese letztere allerdings - und das zeichnet das Werk von Ralph Fleck insgesamt aus - ist kein Mittel der bloßen Verfremdung, sondern die durch die Malerei begründete eigene Wahrheit der Bilder, dass nur in Kunst das Ganze als Struktur und Möglichkeit noch erfahrbar ist, das uns in der Wirklichkeit als Vorstellung längst abhanden gekommen ist.
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